Raus aus der Kreidezeit – der digitale Werkzeugkasten einer modernen Schule

Die Schule ist der Ort, der sich in den letzten Jahrzehnten wenig verändert hat. Doch mittlerweile findet auch hier eine Transformation von Unterrichtsformen und -stunden statt. Die Heterogenität der Bildungsszene, unterschiedliche Lernszenarien und die Anforderungen an die moderne Bildung erfordern eine ergonomisch angepasste, zeitgemäße und lernförderliche Umgebung, die den Bildungszielen der jeweiligen Schule entspricht und zugleich finanzierbar bleibt. Aus unserem heutigen Gespräch mit Michael Sühling, Studiendirektor an der Berufsbildenden Schule (BBS) Wirtschaft, Verwaltung und Gesundheit in Mainz, der das Thema Bildung in der digitalen Welt koordiniert, erfahren Sie, wie die Vorreiterschule BBS 3 Mainz die komplexen Herausforderungen des digitalen Wandels meistert.

Herr Sühling, Sie sind nicht nur für das Thema Bildung in der digitalen Welt an Ihrer Schule zuständig, sondern fördern Medienkompetenzen und digitale Affinität Ihres Schulkollegiums. Ich habe mir einige Ihrer Videos auf Ihrem Youtube Kanal @Lehrer_Sühling angesehen und kann nur sagen, Sie sind wirklich ein motivierter Pädagoge, Medienexperte und Lehrer. Wie kam es dazu? Seit wann beschäftigen Sie sich mit Digitalisierungsthemen?

Meine Fächer sind BWL und Informatik, das heißt ich bin sehr viel im EDV-Raum und unterrichte Informatik. Im Schuljahr 2019/2020 wurde im Bundesland Rheinland-Pfalz eine Digitalstrategie eingeführt. Seitdem benötigt jede Schule einen sogenannten Digitalkoordinator, diese Rolle durfte ich übernehmen. Das erste Großprojekt war, die Lernplattform Moodle bei uns an der Schule zu implementieren und an der Pilotierung unserer neuen landeseigenen Plattform Schulcampus teilzunehmen. Durch die Pandemie, die überraschend kam, war das Thema Digitalisierung, Homeoffice und Fernunterricht sehr viel präsenter und wir mussten uns beeilen, unsere Pläne in die Tat umzusetzen. Wir sind eine sehr große Berufsbildende Schule mit 150 Kolleginnen und Kollegen und diese zu schulen ist sehr zeitaufwendig, da jeder bei der Digitalisierung auf einem anderen Level ist. Deshalb musste etwas leicht Skalierbares erschaffen werden und da kam mir die Idee, Erklärvideos für Kolleginnen und Kollegen zu machen, angepasst an den verschiedenen Interessen. Die Erklärvideos kamen auch bei anderen Schulen gut an und deswegen veröffentlichte ich diese einfach auf einem YouTube-Kanal, dort hat jeder Zugang.

Dank meiner Arbeit bin ich sehr viel im Austausch mit unterschiedlichen Akteuren der Bildungsbranche und weiß daher, dass hier und da immer noch Bedenken vorherrschen, sich auf Digitalisierung einzulassen. Kommt man heutzutage als vorbildlicher Lehrer ohne digitale Medien und ohne medienpädagogische Kompetenzen zurecht?

Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an! Wenn Kollegen seit 20 Jahren mit Tafel, Kreide und Overheadprojektoren arbeiten und plötzlich etwas Neues kommt, stellt sich natürlich die Frage, ob das Ganze besser ist. Ich erkläre es immer gerne am Beispiel des pädagogischen Werkzeugkastens: Je mehr Werkzeuge ich habe, desto mehr Möglichkeiten habe ich, um auf die Schüler pädagogisch einzuwirken. Es ist somit nicht nur ein methodischer Wechsel, sondern eine Erweiterung dessen, was der Lehrer kann. Ein einfaches Beispiel aus meinem Bereich Unterricht im Rechnungswesen: Wenn die Schüler 30 Buchungssätze auf Papier gemacht haben, wird es langweilig und wenn wir dann einen Moodle-Test durchführen, also ein anderes Medium verwenden und alles online ist, wird es wieder interessant. Zudem können die Schüler direkt Feedback erhalten, ob es richtig oder falsch ist. Als Lehrer habe ich den Vorteil, dass ich währenddessen live sehen kann, ob die Schüler die Aufgaben richtig lösen oder eventuell Hilfestellung benötigen. Oder wenn es bei vielen Schülern Probleme gibt, kann ich nochmal intensiver auf das Thema eingehen. Natürlich werden Lehrer motivierter oder selbstbewusster, wenn Sie die eigene Autonomie und ihre Kompetenz erleben und beispielsweise fünf neue Methoden kennenlernen und anwenden können, da man dann natürlich viel breiter aufgestellt ist. Wenn ich mehr Werkzeuge habe, kann ich natürlich auch einen viel abwechslungsreicheren und interessanteren Unterricht für mich und meine Schüler gestalten.

Können Sie solch einen Werkzeugkasten näher beschreiben?

In erster Linie muss der Lehrer guten Frontalunterricht beherrschen, also den Schülern bei ihren Präsentationen helfen und Tafelbilder mit Kreide gestalten können. Das sind natürlich Skills, die sich viele Lehrer über 20 Jahre angeeignet haben und damit super Unterricht generieren können. Jetzt kommen die neuen digitalen Werkzeuge dazu, zum Beispiel Tests, Lernplattformen, kollaborative Plattformen, Digitale Tafeln und Internetrecherchen. Insgesamt ganz viele neue pädagogische Werkzeuge, die man sich zusätzlich aneignen kann und auch sollte.

Man befindet sich in einem Spagat zwischen Technik und Pädagogik, das klingt nach einer komplett neuen Pädagogik und Didaktik. Wenn wir uns über eine intelligente Schule unterhalten, welche Unterrichtstools sind in dieser neuen Lernrealität besonders wichtig? Womit haben Sie an Ihrer Schule angefangen, nachdem die Basis, die intelligente Infrastruktur, vorhanden war?

Natürlich sind ein stabiles WLAN und eine schnelle Glasfaserverbindung das Fundament der Digitalisierung. Die Technik muss funktionieren. Als Berufsbildende Schule haben wir viele erwachsene Schüler, die ihre Endgeräte mitbringen und verantwortungsvoll nutzen, daher fällt uns ein BYOD (bring your own device)- Konzept mit der Ergänzung durch Ausleihgeräte leichter. Für den Unterricht ist die digitale Visualisierungsmöglichkeit wichtig. Hier haben wir schon transportable, fest installierte Beamer oder solche mit interaktiven Projektionsflächen ausprobiert. Mittlerweile verwenden wir Digitale Tafeln mit integrierten PCs und Android. Diese sind viel heller, was gerade in Räumen mit schlechter Verdunklung extrem wichtig ist und zudem eine sehr gute Blickwinkelstabilität hat. Lehrkräfte und auch Schüler können Laptops drahtlos mit den Digitalen Tafeln verbinden und Ergebnisse nahtlos präsentieren. Auch das Schreiben und die Touch-Funktion sind spitze. Wir hoffen, demnächst noch einmal 40 Stück zu erhalten und dann sukzessive die komplette Schule einheitlich damit ausstatten zu können. Bei diesen Digitalisierungsprojekten werden wir von unserem Schulträger, der Stadt Mainz, wirklich sehr gut betreut und unterstützt.

Es ist eine Herausforderung, die verschiedenen Möglichkeiten für eine moderne, digitale Unterrichtsgestaltung zu finden. Als Führungskraft wird man mit Informationen und Angeboten überhäuft, einige Firmen agieren proaktiv. All das ist aber wenig hilfreich, wenn die Produkte nicht den Bedürfnissen entsprechen und keine Mehrwerte schaffen, besonders in sozialen Branchen. Wie haben Sie hier Ihre Lösung gefunden?

Um die Probleme zu lösen, ist ein Austausch mit anderen Schulen unglaublich wichtig, um zu sehen, was bei anderen funktioniert. Die Lehrkräfte und auch die Schulleitungen leisten wirklich viel, aber jede Schule benötigt einen vollwertigen IT-Administrator, der den Support übernimmt. Wir werden hierbei von URANO Informationssysteme GmbH bei der technischen Ausstattung, bei Entscheidungen und auch bei der Umsetzung, also der Installation dieser Boards, unterstützt. URANO Informationssysteme GmbH hat auch den Einsatz der Digitalen Tafeln vorgeschlagen und uns dann mit den passenden Experten unterstützt.

Worin unterscheiden sich aktuelle Modelle der Digitalen Tafeln und worauf sollte bei der Wahl des Gerätes geachtet werden? Welche technischen Anforderungen sind hier besonders wichtig?

Ein wesentliches Feature dieser Geräte im Vergleich zum Beamer ist, dass Digitale Tafeln echtes Licht aussenden. Mittlerweile haben wir zudem sogenannte Dienstlaptops, das heißt, jeder Kollege hat sein eigenes digitales Endgerät. Diese Laptops kann man mit unseren Digitalen Tafeln drahtlos verbinden und anschließend präsentieren, es wird also kein VGA-Kabel oder HDMI-Kabel benötigt.

Kann man interaktive Boards als Tafel oder als Lernmanagement-Plattform nutzen?

Als Lernmanagement-Plattform eignen sie sich weniger, die Inhalte werden bei Moodle gesammelt. Hierbei muss der Zugriff von zu Hause gewährleistet werden. Wenn ich jetzt alle Sachen auf der Digitalen Tafel sammeln würde, wäre natürlich der Zugriff auf das Material von zu Hause sehr schwierig.

Ist es möglich, Moodle und Digitale Tafeln zu kombinieren?

Man kann natürlich die Lerninhalte von Moodle direkt auf jedem digitalen Gerät im Browser anzeigen lassen und hat dann direkt vollen Zugriff - auf alles, was man braucht. Dafür brauche ich aber die Digitale Tafel, ansonsten muss es sich jeder Schüler selbst an seinem Endgerät ansehen. Mit Digitalen Tafeln wird die ganze Aufmerksamkeit weg von den einzelnen Endgeräten, hin zu den geteilten Tafeln gelenkt.

Also wird durch die Digitalen Tafeln Schülern kollaboratives Lernen in unterschiedlichen Programmen ermöglicht?

Kollaborativ Arbeiten wir jetzt auch über unsere Schulcampus-Lernplattform. Hier arbeiten die Schüler erst einmal individuell und anschließend werden die Aufgaben oder Themen an der Digitalen Tafel besprochen. Das gemeinsame Arbeiten an einem Dokument ist natürlich sehr gewünscht von den Ausbildungsbetrieben, weil da ja die Zukunft hingeht.

Das benötigt bestimmt mehr Arbeitszeit für die Lehrer und Schüler?

Man benötigt eine Gewöhnungsphase. Bei jedem Change-Management, das in einer Organisation oder Schule durchgeführt wird, benötigt es erst einmal Anschub-Finanzierung. Sprich, wenn ich etwas Zeit reinstecke und im Nachhinein eine effiziente Leistung erziele, ist das auch vollkommen in Ordnung.

In diesem Fall ist es für Sie vielleicht noch einfacher, da Sie ja eine Berufsbildende Schule sind.

Wir bereiten auf die Arbeitswelt vor und unsere Arbeitswelt wird immer digitaler und wird jeden Bereich durchziehen. Wir wollen unsere Schüler auf den Arbeitsalltag vorbereiten, sie müssen diese Skills einfach haben, da der Umgang mit digitalen Medien eine Grundvoraussetzung ist.

Wie hat sich Unterricht verändert, nachdem mehrere Digitalisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden?

Ein Großteil meines Unterrichts war schon digital und bei den anderen Kollegen kommt das jetzt natürlich immer mehr. Der große Vorteil ist: Wenn Schüler krank sind, kann das Material in der Lernplattform eingestellt werden und die Schüler können das einfach nachlesen. Man kann auch größere Umstellungen machen, beispielsweise das Flipped-Classroom-Konzept, bei dem die Schüler alles zu Hause vorbereiten und dann schon vorbereitet in den Unterricht kommen. Beim Unterricht ist und bleibt der Lehrer das zentrale Entscheidungskriterium, ob der Unterricht gut oder schlecht ist.

Hatten ihre Kollegen Fortbildungen, um Digitale Tafeln im Unterricht einzubinden?

Wir hatten das Glück, dass wir URANO Informationssysteme GmbH als Partner hatten und uns sowohl Präsenzfortbildungen in der Schule als auch Online-Fortbildungen zur Verfügung gestellt haben. Durch ein breites Fortbildungskonzept haben sich alle Kollegen mitgenommen gefühlt.

Einige Schulen arbeiten bereits mit Schulverwaltungs-Plattformen und Lernmanagement-Plattformen und gleichzeitig gibt es Fälle, dass eingekaufte Ausstattung nicht in die bestehenden Systeme integriert werden kann. Hatten Sie externe Unterstützung, um sich für die passenden Geräte zu entscheiden?

Wir hatten den Vorteil, dass die Stadt Mainz sehr weit vorne ist und uns bei der digitalen und technischen Ausstattung sehr stark unterstützt hat. Die Zusammenarbeit mit externen Partnern läuft auch seitens der Stadt sehr gut, sodass wir da wirklich Know-how, Engagement und Unterstützung erfahren konnten.

Sprich: Die Stadt Mainz ist sehr modern aufgestellt und setzt sich für Schulen ein?

Die Stadt Mainz war sehr lange stark verschuldet, aber hat sich bisher sehr engagiert und bemüht gezeigt. Wir hoffen, dass jetzt dank Biontech ein bisschen mehr Geld in die Stadtkasse kommt und noch weitere Änderungen vorgenommen werden.

Was möchten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen abschließend mit auf den Weg geben?

Aufgrund der Corona-Pandemie herrschte die letzten zwei Jahre eine Ausnahmesituation. Dinge wurden unter Hochdruck verändert, der Unterricht und Fernunterricht mussten funktionieren, alles musste digital ablaufen. Dies war natürlich eine sehr große Herausforderung und mit enormer Anstrengung verbunden. Ich hoffe, dass sich das alles ein bisschen normalisiert und wir uns jetzt wieder auf die schönen Teile der Digitalisierung konzentrieren können und das Ganze immer weiter verbessern können.

Herr Sühling, wir bedanken uns herzlich für dieses spannende Gespräch über das digitale Leben in Ihrer Schule. Sie haben gezeigt, dass nur durch ein harmonisches Zusammenspiel von Dienstleistern und Herstellern sowie einem engagierten und motivierten Schulkollegium eine Umgestaltung der Bildungslandschaft möglich ist.


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